Allgemein LARP Neues

Über den Fluch der Immersionspflicht…

…oder auch: Mal die Kirche im Dorf lassenFeuer

von Katharina Munz

Immersion ist ein in den letzten Jahren sehr in Mode gekommener Begriff, insbesondere in Verbindung mit Live-Rollenspiel und den damit einhergehenden Erwartungen. Bevor ich aber zum eigentlichen Ansatz dieses Artikels komme möchte ich den Begriff kurz beleuchten, damit wir alle auf dem gleichen Stand sind.

Wikipedia erklärt Immersion (im Rollenspiel) folgendermaßen:
Im Pen-&-Paper-Rollenspiel (P&P) und Liverollenspiel (LARP) ist die Immersion ein zentrales Thema. Es geht darum, dem Spieler ein möglichst glaubhaftes und intensives Erlebnis der Spielwelt zu bieten. Beim P&P-Rollenspiel wird dies in erster Linie durch die Erzählkunst des Spielleiters bewerkstelligt. Des Weiteren durch ein Regelwerk, welches die Spielwelt möglichst glaubhaft in Werte, Spielregeln und Hintergrundgeschichten fasst. Beim Liverollenspiel wird die Immersion durch passende Verkleidungen und Umgebungen herbeigeführt. (…) Auf diese Art gelingt es den Spielern, ihrer wirklichen Welt für ein paar Stunden zu entfliehen und in diesem Zeitraum eine andere (meist selbst gewählte), Person darzustellen. Durch die Erfahrung des gemeinsamen Schauspiels erleben die Spieler gleichzeitig das Leben einer anderen Figur und die Reaktionen ihrer Umwelt auf diese.“ (Quelle: Wikipedia,
https://de.wikipedia.org/wiki/Immersion_%28virtuelle_Realit%C3%A4t%29#Immersion_in_Rollenspielen, 05.04.2016, 21.29 Uhr)

Seit dieser Begriff auf das Thema LARP heruntergebrochen und verbreitet wurde, ist er in aller Munde und wird häufig als eines der Qualitätskriterien für eine Live-Rollenspiel-Veranstaltung gehandelt. Des Öfteren habe ich inzwischen schon den Satz von einem anderen Spieler gehört/gelesen: „Das stört aber total mein Immersionserleben!“ – häufig nicht direkt im Spielkontext, sondern besonders gerne in den Feedback-Foren nach einem Con.

Aber wieso ist dieser Begriff plötzlich so wichtig?

Meine Beobachtung ist, dass mit zunehmendem Alter der Live-Rollenspieler die Ansprüche an ein LARP extrem zu steigen scheinen. Auf den ersten Blick ist das ja auch nicht ganz unverständlich: Man arbeitet 40 Stunden in der Woche, hat ggf. auch noch eine Familie, die versorgt und umsorgt werden will und im Gegensatz zum früheren LARPen in Schul- oder Studentenzeiten fehlt es inzwischen zwar nicht mehr am nötigen Kleingeld, um sich Zelt, Ausrüstung und den Con-Beitrag zu leisten. Woran es allerdings jetzt meist fehlt, ist Zeit. Und dann kommt natürlich ggf. die Vorstellung auf, dass es, wenn ich schon ein ganzes Wochenende meiner Freizeit opfere, dann auch etwas ganz Besonderes sein muss. Etwas, in das ich vollends eintauchen, in dem ich mich (im besten Sinne des Wortes) verlieren und den Stress meiner vergangenen (Arbeits-)Woche vergessen kann.

Zusätzlich zu diesem Anspruch haben die meisten LARPer ja auch nicht mit Mitte Dreißig angefangen zu larpen, sondern eher in ihrer Jugend – einer Zeit, in der vieles noch viel beeindruckender war, als mit Mitte Dreißig und in der man noch bereiter und offener dafür war, sich von Dingen und Situationen „verzaubern“ zu lassen. Das gilt für Partys, Konzerte, Silvesterfeiern und vieles mehr. Und auch LARP stellt da keine Ausnahme dar.

Aus diesem Konglomerat an Rahmenbedingungen kann sich dann im Heute schon einmal eine gewisse Anspruchshaltung ergeben – die leider häufig nur sehr schwer zu erfüllen ist.

Was im Spiel nämlich leider oft vergessen zu gehen scheint ist die Tatsache, dass es eben genau das ist: Ein Spiel.

Und in diesem Spiel bedeutet es nicht zwangsläufig den Weltuntergang und meist noch nicht einmal das Ende des Spiels, wenn mal ein anderer Spieler gerade einen „Out-Time-Moment“ hat und etwas sagt oder tut, was dem anderen gerade nicht in seine Immersion passt und ihn „total raus bringt“.

Diese Beschreibung scheint zunächst übertrieben und ich wünschte, sie wäre es. Meine Beobachtung – sowohl als Spieler, als auch als Spielleitung – ist leider in der letzten Zeit oft eine andere und ich frage mich, warum das so ist.
Haben wir verlernt, uns entspannt zurück zu lehnen und einmal (oder auch mehrmals) Fünfe gerade sein zu lassen?
Sind wir schon so in die Leistungsschiene eingenordet, dass wir selbst in einem absoluten Freizeitbereich, in dem wir in fast vollständig fiktiven Welten und Hintergründen „spielen“, eine Messlatte anlegen müssen, wer jetzt mehr Immersion hat und wer nicht? Oder wer hier wem mit was seine Immersion kaputt macht?
Vergessen wir dabei nicht manchmal, dass die überwiegende Zahl an Veranstaltern das Ganze ehrenamtlich in ihrer Freizeit macht und sich unzählige Stunden ihrer Zeit dafür von ihrem Privatleben abzweigen? Müssten wir nicht eigentlich froh sein, dass sich überhaupt jemand die Mühe und die Arbeit macht, ein Live-Rollenspiel mit allem was dazu gehört auf die Beine zu stellen?

Ich selbst nehme mich hierbei nicht aus, auch ich fühle mich von gewissen Dingen gestört, die andere Spieler oder auch die Spielleitung tun bzw. nicht tun. Auch ich erwische mich bei dem Gedanken „das hätte man aber schöner machen können/anders darstellen können/besser vorbereiten können…“. Dementsprechend gilt auch für mich das Credo, das den Untertitel dieses Artikels geprägt hat: Einfach mal die Kirche im Dorf lassen – es ist „nur“ ein Spiel!

Denn neben aller Kritik, die man an einem LARP und seiner Orga haben kann, gebührt, wie ich finde, jeder Orga allein schon dafür Lob und Anerkennung, dass sie sich überhaupt bereit erklärt, etwas zu tun. Wie auch immer das Ergebnis dann am Ende aussehen und gefallen/nicht gefallen mag, allein das sollte Außenstehenden schon Respekt abringen.

Natürlich bemühen wir uns als Veranstalter und auch ich als Spieler, den anderen Spielern ein möglichst schönes Erlebnis – mit möglichst viel Immersion – zu bieten. Manche Dinge lassen sich jedoch nicht im Sinne der Immersion regeln oder manchmal passiert einem auch einfach etwas Dummes, dass in diesem Moment ggf. die Immersion des einen oder anderen zerstört. Nun kann man darüber lamentieren, den anderen verfluchen, sich das ganze Wochenende darüber aufregen und sein Geld zurück verlangen – gerne auch hinterher in einem Forum in dem scheinbare Anonymität schnell einmal zu verbalen Ausrutschern verleitet.

Oder man kann auch einfach ein wenig Vertrauensvorschuss geben, keine böse Absicht unterstellen und vielleicht sogar gemeinsam darüber lachen. Das zumindest habe ich mir vorgenommen, künftig zu versuchen. Schließlich sind wir alle nur Menschen und wollen gemeinsam ein schönes Wochenende verbringen. Auch die Veranstalter eines Cons. In ihrer und unserer Freizeit.